Michael Buselmeier (2011)
 
 

ISBN: 978-88423-362-7

 
 


Klaus Rott/Christopherl
(1964)

 

 

................... Mein vorletzter Arbeitstag im Wunsiedeler Sommertheater. Gerade hat Klaus, mein Mitbewohner im Dachgeschoß der Familie Seifert, das Haus verlassen. Ich schaue ihm aus dem Küchenfenster nach, wie er zum letzten Mal den sonnigen Schönlinder Weg abwärts geht, in der einen Hand einen mächtigen Koffer, den er nur mit meiner Hilfe zubekam, in der anderen einen Tauchsieder, der im Koffer keinen Platz mehr fand, in ein weißes Handtuch eingewickelt. Er dreht sich noch einmal um, lang und schlaksig, er winkt mir mit dem Tauchsieder, nun geht er über die Bahn­gleise, und schon ist er hinter dem Wärterhäuschen Richtung Bahnhof verschwunden, mit ihm sein Schatten. Nicht aufzuhalten, schon verloren für mich, schon zur Erinnerung geworden.

Klaus hat mir zum Abschied Ferdinand Raimunds »Gesammelte Werke« geschenkt, ein Lieblingsbuch mit seinen Wiener Lieblingsrollen, erschienen im Bertelsmann Lesering, ich gab ihm dafür mein mit vielen Randbemerkungen versehenes Exemplar der »Flegeljahre«. Nun bin ich ganz allein unterm Dach, in Selbst­gespräche verstrickt. So hell das Mittagslicht in den kahlen Räu­men, als wäre auch ich bereits abgereist. Ich muss den Tag um mich her Stück für Stück neu aufbauen und den Ort festschreiben, den Fußboden aus braunem Linoleum, die geblümte Tapete, die rissige Fensterbank, den Sommer draußen, den Rosen- und Lindenduft, Klaus mit seinem Koffer fluchend im Treppenhaus, ein Sägegeräusch. Und vor allem mich selbst, den Unbekannten. Die Straße ist leer. Ich muss die Zeit, wie sie gerade verweht, anhalten mit Papier und Kuli, so einfach könnte es sein. Der Asphalt glänzt, eine Kirchenglocke bimmelt hell zu Mittag durch all die Jahre, ein Zug pfeift. War es nicht so? War es anders, und wie? Vom Krankenhaus her frommer Gesang und Hundebellen. Gleich darauf holpert die Bahn nach Holenbrunn und Marktredwitz am Haus vorbei. Klaus am offenen Fenster, mir mit dem Tauchsieder winkend, ich ihm mit einem Buch oder einer Zeitung, vom Süd­fenster aus. Sein schwermütiges Wiener Kasperlgesicht mit dem Stoppelhaar und der etwas schiefen Nase ist für einen allerletzten Moment sichtbar. Wie jung er aussieht, nicht älter als zweiund­zwanzig. Ein Raimundspieler, ein philosophischer Nestroymime auf der Heimfahrt nach Wien, für immer auf und davon aus meinem Leben.........

 

Stelle A (Seite 109/110)
Stelle B (Seite 150/151)
2011 ©Verlag Das Wunderhorn GmbH

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